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Hommage an Izmir

Sie:

"Wow, das schmeckt sehr gut! Kochst du für mich auch mal Türkisch?"

Ich:

"Gerne, hättest du einen bestimmten Wunsch?"

Sie:

"Ich liebe Falafel!"

Ich:

"...was zum Teufel ist Falafel?"


<awkward silence>


Diesen Dialog hatte ich in meinem ersten Jahr in Wien; zugegebenermaßen meiner Unwissenheit über die orientalische Küche geschuldet. Die strittige regionale Abgrenzung des Begriffs "Orient" beiseite; die Küche, die ich aus meiner Heimat Izmir kannte, war für mich immer schwer vereinbar mit der türkischen Küche, wie man sie in Österreich kennt. Ähnliche Dialoge habe ich also seitdem nicht selten gehabt, zu meinem Bedauern sogar mit Leuten, die sich kulinarisch gut auskennen und wüssten, dass die türkische Küche eine breite regionale Vielfalt und dadurch viel mehr als "Döner Kebab und Baklava" anzubieten hat.


Schuld daran sind sicherlich auch die türkischen Gastronomen in Europa, die sich auf das bestehende wirtschaftliche Erfolgsrezept der türkischen Küche am unteren Ende des kulinarischen Mittelmaßes verlassen, entweder aus Mangel an Vision,

Experimentierfreudigkeit, oder einfach Talent. Und nein, die Griechen im Lande können es auch nicht besser und leiden unter dem gleichen Zwang, sich an mittel-/westeuropäischen Speisenfolge und Geschmack anzupassen: Vorspeisen in Einzelportionen pro Person (Wenn du Angst hast, dass deine Gäste Meze nicht kennen, sag zumindest "griechische Tapas"), Hauptspeisen mit Beilage (Pommes?!?), Nachspeisen serviert mit Schlagobers (Seriously? Wie schwer soll es bitte sein, bei einer regionalen österreichischen Molkerei einen richtigen Kaymak produzieren zu lassen?).


Obwohl meine passiv-aggressive Einleitung oben auf eine vollkommene kulturelle Integration in Wien hindeutet, habe ich natürlich öfters Lust auf türkisches Essen, wie ich sie aber zu Hause in Izmir unter dem Namen "Ägäis-Küche" gelernt habe. Wenn ich also Türkisch essen will, koche ich lieber selber.

Die Ägäis-Küche ist auch in sich sehr vielfältig, stark beeinflusst von benachbarten regionalen Küchen wie die der griechischen Inseln, des Balkans und Mittelanatolien. Eine besondere Unterkategorie ist aber mein Favorit, wenn ich für meine österreichischen Freunde ein türkisches Essen zubereiten soll: Rakı Sofrası & Balık. Der Begriff (aus dem türkischen übersetzt: Rakı Tafel & Fisch) steht jedoch nicht nur für eine Sammlung von bestimmten Gerichten und Zubereitungsarten, sondern für eine holistische Essenskultur mit weiteren Komponenten wie Menükonzept, Begleitmusik und Etikette.


Das Menü und die Servierreihenfolge sind einfach erklärt: Kalte Meze als Vorspeise, 1-2 warme Vorspeisen als Zwischengang (meistens Meeresfrüchte) und Fisch als Hauptspeise, alles mit Rakı-Begleitung. Hier kommt es aber auf Details an: Die Meze-Gerichte werden in kleineren Portionen und für den gesamten Tisch serviert, und es dauert mindestens 1 Stunde (Bessere Daumenregel: 1 Flasche Rakı), bis man den ersten Zwischengang bekommt, und mindestens noch eine weitere Flasche, bis der Hauptgang serviert wird. Die Dauer der einzelnen Gänge ist immer sehr flexibel: Der Kellner nimmt die gesamte Bestellung gleich beim Empfang vor der Meze- bzw. Fisch-Theke auf und serviert Rakı und Meze gleich. Nach einer langen Pause fragt der Kellner wegen des nächsten Gangs nach, und zwar bevor der Koch mit der Zubereitung beginnt. Deswegen ist die übliche Frage, die man in einem türkischen Fischrestaurant von Kellnern hört: "Soll die Küche Ihre Fische schon auf den Griller werfen, der Herr?" Ein richtiger Insider antwortet nie beim ersten Mal mit "Ja". Eine Rakı Tafel dauert ewig, man genießt die gemeinsame Zeit mit Freunden. Man hört türkische Kunstmusik, ab einer gewissen Uhrzeit diskutiert man heftig aber mit gegenseitigem Respekt über die aktuelle türkische Politik mit der catchphrase: "Wie retten wir das Land?", man wird nicht betrunken (dafür ist es wichtig Rakı nicht mit anderen Getränken zu mischen), und gegen Ende des Abends beginnt man zu erzählen wie sehr man sich gegenseitig liebt, begleitet mit Bussis. Die Unterhaltung mit Freunden ist also eher im Vordergrund und nicht das Essen. Trotzdem ist aber der Abend nur dann ein Erfolg, wenn man zum Schluss sagt: "Wieder viel gegessen, nur Meze hätte eigentlich auch schon gereicht." - Natürlich bestellt man beim nächsten Mal wieder den Fisch dazu.


Unten habe ich meine Lieblingsrezepte zusammengestellt, die ich auch in Österreich mit guten und überwiegend regionalen Zutaten für eine nette Rakı Tafel mit Freunden zubereiten kann.


Kavun Peynir

Less is more - der erste Gang einer Rakı Tafel ist üblicherweise nur eine Scheibe kalte Honigmelone, begleitet von einem Stück salzigem Feta. Die richtige türkische Sorte von Cucumis melo ist in Österreich meist nicht erhältlich, eine süße regionale Sorte wird aber genauso gut schmecken.

  • 1 Scheibe Honigmelone (süß, gut gekühlt)

  • 1 Scheibe Feta (salzig, nicht zu fett)


Sıcak Ot

Krautartige Pflanzen wie wilde Radieschenblätter (turp otu), krauser Ampfer (kuzu kulağı), Benediktkraut (şevket-i bostan), milde Walve (ebegümeci), Brennnessel (ısırgan otu), Mangold (pazı) oder Löwenzahn (karahindiba) verleihen der türkischen Ägäis-Küche ihre Einzigartigkeit und das Gericht "Sıcak ot" ist der Überbegriff für die sehr einfache Zubereitung und Servierart dieser Kräuter. In Österreich findet man sie nicht beim Billa ums Eck und leider gibt es selten einen türkischen Gemüsehändler, der sich mit dieser Nische von ägäischen Gemüsesorten auskennt. Trotzdem wird man hin und wieder am Brunnenmarkt fündig.

Eine Alternative ist natürlich auch auf der Donauinsel oder im Prater selber auf die Suche zu gehen.

  • 500 gr. Löwenzahn o.ä.

  • 3 Knoblauchzehen

  • Knoblauchjoghurt

  • Olivenöl

  • Paprika edelsüß

Löwenzahn ca. 1 Stunde in Salzwasser einlegen, um die Bitterstoffe zu entziehen, in grobe Stücken schneiden und auf der Pfanne mit Olivenöl und Knoblauchzehen anbraten, bis die Blätter Masse verlieren. Die Pfanne zugedeckt noch 15 min. mit reduzierter Hitze ziehen lassen. In einer kleineren Pfanne Öl erhitzen, vom Herd nehmen und mit Paprika bestreuen. Knoblauchjoghurt auf die Kräuter verteilen und mit Paprikaöl übergossen lauwarm servieren.



Şakşuka

Das in Österreich bekannte orientalische Gericht Shakshuka kennt man wohl in der Türkei, jedoch mit dem Namen "Menemen", ein Frühstücksgericht. Der türkische Şakşuka enthält keine Eier und das Gemüse wird nicht in der Pfanne angeröstet sondern in reichlichem Olivenöl frittiert und mit Knoblauchjoghurt serviert.

  • 1 große Melanzani

  • 1 große Zucchini

  • 2 mittelgroße Karotten

  • 3 große Erdäpfel

  • 5 mittelgroße Pfefferoni

  • 3 Ochsenherz-Paradeiser

  • 1 weiße Zwiebel

  • 3 Knoblauchzehen

  • Olivenöl zum Braten

  • Salz & Pfeffer

  • Pulbiber (Chiliflocken)

Eine unbeschichtete Bratpfanne reichlich mit Olivenöl füllen und erhitzen (auf den Rauchpunkt des Öls achten!). Das Gemüse eins nach dem anderen in Würfel schneiden und in der Pfanne goldbraun frittieren, auf einem mit Küchenrolle belegten Backblech abkühlen lassen. Melanzani vor dem Frittieren in Salzwasser einlegen, um die Bitterstoffe zu entziehen. Auch die Erdäpfel vorher in Wasser einweichen, damit man die überschüssige Stärke wegbekommt. Das Öl nach dem Frittieren aus der Pfanne gießen und ggf. für den späteren Gebrauch beiseitelegen. Paradeiser, Zwiebel und Knoblauch schälen, in Würfel schneiden und in der noch mit dem Restöl beschichteten Pfanne durchkochen. Die Gemüsemischung zuerst mit Tomatensoße, dann mit Knoblauchjoghurt übergießen und lauwarm (gerne auch kalt) servieren.


Atom

Dieses Meze-Gericht ist eher ein neues Rezept, welches in den letzten Jahren u.a. in Izmir sehr populär geworden ist. Wie man bereits am Namen erkennen kann, ist es sehr scharf.

Die Melanzani waschen, mit einer Gabel auf beiden Seiten 1-2 Mal einschneiden, auf ein Backblech (mit Backpapier) legen und im Backofen bei starker Hitze anbraten, dabei immer wieder wenden. Wenn sie durch ist (wenn man sie mit einem Finger leicht eindrücken kann), aus dem Ofen nehmen und zugedeckt kaltstellen. Sobald sie kalt ist schälen, kleinschneiden, mit Joghurt mischen und mit Salz abschmecken. Die Chilischoten in Olivenöl und Butter anrösten, zum Schluss Paprikapulver dazugeben. Die Melanzani-Joghurt-Mischung mit dem heißen Chiliöl übergießen und gleich servieren.


Fava

Die Favabohne ist eine ursprünglich aus der Levante stammende und vermutlich durch jüdische Einwanderer in Izmir und Griechenland verbreitete Bohnensorte. In Österreich ist sie eher unbekannt (bzw. unter Bauern mit dem Schmähnamen "Saubohnen" bekannt). Man findet sie aber in fast jedem türkischen Supermarkt.

  • 250 gr. getrocknete Favabohnen

  • 1 weiße Zwiebel

  • 1 Orange

  • 1 rote Zwiebel

  • Dille

  • Olivenöl

  • Zitrone

  • Salz & Pfeffer

Favabohnen in einen tiefen Topf geben und mit so viel Salzwasser übergießen, dass die Bohnen komplett überdeckt sind. Die weiße Zwiebel und den Saft einer Orange hinzufügen und ca. 20 min. kochen, bis die Bohnen durch sind. Den Topf vom Herd nehmen, mit einem Stabmixer zu einer cremigen Masse pürieren (für die gewünschte Konsistenz bei Bedarf lauwarmes Wasser nachgießen) und kaltstellen. Rote Zwiebel und Dille kleinschneiden, mit Olivenöl und Zitrone dem kalten (mittlerweile fester gewordenen) Püree hinzufügen und unterrühren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken, vor dem Servieren nochmal mit Olivenöl leicht übergießen.


Deniz Börülcesi (Seespargel)

Seespargel ist im deutschsprachigen Raum unter mehreren anderen Namen bekannt, (Queller, Salicorne, oder einfach Algen) was den Einkauf nicht leicht macht. Trotzdem findet man sie bei einigen Fischhändlern in Wien, ich habe meistens Glück beim Gruber am Naschmarkt.

  • 250 gr. Seespargel

  • Olivenöl

  • Traubenessig

  • Zitrone

  • 2 Knoblauchzehen

  • Salz

Seespargel in Salzwasser max. 15 min. kochen, mit kaltem Wasser abschrecken. Bei größeren Stücken die fasrige Mitte herausnehmen, mit Olivenöl, Essig, gepresstem/zerdrücktem Knoblauch und Salz abschmecken und kalt servieren.


Çim Çim (Babygarnelen)

Einer der bekanntesten warmen Zwischengänge sind Babygarnelen mit Knoblauch und Chilibutter aus der Pfanne, ähnlich wie die spanische Gambas. Geschält und ausgenommen findet man sie auch in Wien in jedem Fischmarkt. Vorgekochte eingefrorene Produkte aus dem Supermarkt sind für das Rezept nicht geeignet, weil sie sogar nach kurzem Anbraten zu trocken werden.

  • 300 gr. frische Babygarnelen

  • Butter

  • Pulbiber (Chiliflocken)

  • Knoblauch

Babygarnelen mit gepresstem Knoblauch mischen und kurz ziehen lassen. Butter in der Pfanne auf mittlerer Hitze erhitzen. Babygarnelen in die Pfanne geben und kurz (2-3 Minuten) anbraten. Zum Schluss mit Pulbiber bestreuen und am besten in einem vorgeheizten Tontopf warm servieren.

Barbun (Rotbarbe)

Unter den vielen ägäischen Meeresfischen ist die Rotbarbe mein Favorit, weil man sie fasst komplett (vom Kopf bis zur Schwanzflosse) mit allen ihren Gräten essen kann. Trotz ihrer bescheidenen Größe hat die Rotbarbe ein saftiges, zartes Fleisch, welches mit seinem intensiven, nussigen Geschmack keine weiteren Gewürze außer Salz braucht. Für eine leichte Schärfe gebe ich jedoch eine Prise Chili in das Paniermehl dazu, bevor ich sie in Olivenöl beidseitig goldbraun anbrate. Serviert wird dieser außen knusprig, innen saftige Fisch ohne Beilage, wenn dann nur mit ein paar Rucolablätter, Dille oder mit einer Scheibe rote Zwiebel. Einen grünen Salat hat man nämlich bereits mit Meze bestellt, welcher noch nicht fertiggegessen wurde; bei Bedarf greift man darauf zurück.



Fırında Helva

Zum Schluss kommt eine Nachspeise, diesmal doch mit einer Zutat, die ursprünglich aus dem weiten Orient stammt und vom Nahen Osten bis Balkan bekannt ist. Der süße Abschluss einer Rakı Tafel & Fisch ist meistens überbackenes Helva.

  • 250 gr. Helva (Natur oder mit Pistazien)

  • 2 große Karotten

  • Zitronensaft

Karotten reiben und in eine kleinere Backform, z.B. aus Ton geben. Helva zerkleinern, auf die Karotten verteilen und ca. 20 min. backen. Fertiges Helva mit Zitronensaft beträufeln und warm servieren. (Für einen österreichischen Touch kann man saisonbedingt statt Karotten Hokkaidokürbis verwenden.)


 

Rakı-Begleitung: Diesen türkischen Weintrauben-/Rosinenschnaps mit Anisaroma, mit seinem anderen Namen "Löwenmilch", trinkt man nicht als Digestiv nach dem Essen, sondern als Essensbegleiter, genauso wie Ouzo in Griechenland. In ein spezielles Rakı-Glas (wie ein schmales, kleineres Long-Drink-Glas), schenkt man zuerst den Rakı, danach eisgekühltes Wasser ein, dazu gibt man bei Bedarf noch max. einen Eiswürfel. Die Reihenfolge ist wichtig, damit der Rakı durch den Eiswürfel nicht kristallisiert und seinen Geschmack verliert.

Obwohl im osmanischen Reich viele Rakı-Marken erhältlich waren, wurde in der neuen Republik zwischen den 40er und 80er Jahren nur die staatliche Marke Yeni Rakı produziert, im Wesentlichen aufgrund der Wirtschaftskrisen in der Zwischenkriegszeit. Seit der Aufhebung des Staatsmonopols über Alkoholproduktion in den 80'er Jahren sind viele neue Rakı Marken auf den Markt gekommen, meine Favorit ist Beylerbeyi Göbek, der keinen Zuckerzusatz enthält und 3-Mal destilliert wird.


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